Thema des Tages
23-06-2025 13:50
Wissenschaft kompakt
Storm Splitting - Wenn Gewitter sich scheiden lassen
Während eines Gewitters kann sich eine Zelle plötzlich zweiteilen.
Dieses Phänomen wird als 'Storm Splitting' bezeichnet. Mehr dazu im
heutigen Thema des Tages.
Essentiell für die Entstehung von Superzellen und damit auch die
Grundlage für einen Storm Split ist eine vorhandene vertikale
Windscherung in der Atmosphäre. Dabei unterscheidet man zwischen zwei
Hauptformen: der Geschwindigkeits- und der Richtungsscherung. Die
Geschwindigkeitsscherung beschreibt Veränderungen in der
Windgeschwindigkeit mit zunehmender Höhe, während sich bei der
Richtungsscherung die Windrichtung in den verschiedenen
Höhenschichten verändert. Beide Prozesse führen dazu, dass in der
Atmosphäre sogenannte horizontale Vorticity, also horizontal
rotierende Luftwirbel, entstehen (siehe Abbildung 2).
Um das Phänomen des Storm Splits möglichst verständlich zu erklären,
betrachten wir zunächst den einfachsten, idealisierten Fall. Dabei
liegt ausschließlich vertikale Geschwindigkeitsscherung vor. Das
bedeutet: Der Wind weht in allen Höhen aus der gleichen Richtung, in
diesem Fall aus Westen. In einem solchen Szenario bewegen sich auch
die Wolken gerade von West nach Ost - stets parallel zum mittleren
Windscherungsvektor. Die durch die Geschwindigkeitsscherung erzeugte
horizontale Vorticity steht dabei perfekt senkrecht zur Zugrichtung
des Sturms, weil sie in diesem Fall Nord-Süd ausgerichtet ist. Diese
senkrechte Ausrichtung wird als crosswise Vorticity bezeichnet.
Gelangt nun der horizontal rotierende Luftwirbel in den
Aufwindbereich eines Gewitters, wird er davon nach oben in die Zelle
hineingesogen. Dabei kippt die Vorticity durch die vertikale Bewegung
in eine aufrechte Position und bildet jetzt eine vertikale Rotation.
Es entsteht also ein Wirbelpaar an den Flanken des Aufwinds. Auf der
einen Seite entsteht dementsprechend eine antizyklonale Drehung (im
Uhrzeigersinn), während die andere Seite zyklonal (gegen den
Uhrzeigersinn) rotiert. Die vertikale Rotation hat einen
entscheidenden Effekt: An den beiden Flanken bilden sich lokale
Tiefdruckbereiche (Stichwort Zentrifugalkraft), ähnlich wie bei einem
Wasserwirbel, der entsteht, wenn man die Badewanne ablaufen lässt.
Statt Wasser strömt hier allerdings Luft nach, angetrieben durch die
Druckgradientkraft. Diese Luftbewegung führt an beiden Flanken zur
Bildung eines neuen Aufwindbereichs, wodurch zwei neue, getrennte
Zellen entstehen.
Ein weiterer Mechanismus kann diesen Aufspaltungsprozess zusätzlich
beschleunigen: Wenn sich durch den ursprünglichen Aufwind bereits
genügend Niederschlag in der Wolke gesammelt hat, fällt dieser herab
und erzeugt einen zentralen Abwind. Dieser verdrängt das
ursprüngliche Aufwind-Maximum und "drückt" die beiden neuen Zellen
zusätzlich auseinander. In der Folge spaltet sich der ursprüngliche
Sturm also in zwei Richtungen auf. Bei einer rein westlichen
Windscherung zieht die eine Zelle, der sogenannte left mover (LM),
nach Nordwesten ab. Die andere, der right mover (RM), bewegt sich
weiter nach Südwesten. Diese Namensgebung basiert auf der relativen
Abweichung der Zugrichtungen beider Zellen vom ursprünglichen Kurs.
Wenn sich die Zugrichtung eines Sturms zunehmend von der mittleren
Windscherung unterscheidet, trifft der Sturm auf eine verstärkte
Komponente sogenannter streamwise Vorticity. Dabei handelt es sich um
Wirbel in der Umgebungsluft, deren Rotationsachse nicht mehr
senkrecht, sondern zunehmend parallel zur der Zugrichtung des Sturms
verläuft. Das macht es einfacher die vorhandene Rotation in den
bestehenden Aufwind einzufangen, weil die Wirbelachse jetzt direkter
mit der Aufwindachse zusammenfällt. Diese wird dann vertikal
gestreckt, weshalb sich die Rotationsgeschwindigkeit des Aufwinds
deutlich erhöht. Das ist vergleichbar mit dem Pirouetten-Effekt bei
einer Eiskunstläuferin, die ihre Arme anzieht. Auf diese Weise
entsteht eine rotierende Aufwindstruktur, die sogenannte Mesozyklone
- das zentrale Merkmal einer Superzelle.
Im zuvor beschriebenen Fall mit rein crosswise ausgerichteter
Vorticity (senkrecht zur Zugrichtung) wird dieser Prozess auf beiden
Seiten des Aufwinds gleich stark ausgelöst. Es entstehen zwei
Superzellen mit unterschiedlicher Zugbahn, da die Druckverteilung
innerhalb der Zellen weiterhin eine Abweichung vom mittleren Windfeld
bewirkt. Theoretisch wären diese beiden Superzellen spiegelbildlich.
Allerdings gibt es noch einen weiteren Einflussfaktor, nämlich die
Corioliskraft. Diese, durch die Erdrotation verursachte Scheinkraft,
wirkt auf der Nordhalbkugel verstärkend auf die zyklonale
(rechtsdrehende) Rotation der RM-Superzelle und abschwächend auf die
antizyklonale (linksdrehende) Rotation der LM-Superzelle. Das
bedeutet, dass die RM-Superzelle meist etwas stärker ausgeprägt ist
als die LM-Superzelle. Auf der Südhalbkugel kehrt sich dieses
Verhalten natürlich um.
Tatsächlich wird in der Praxis meist auch ohne den Einfluss der
Corioliskraft eine der beiden Superzellen bevorzugt, während die
andere in ihrer Entwicklung gehemmt wird. Die zuvor beschriebene
symmetrische Aufspaltung ist eher die Ausnahme. Denn wie bereits
erwähnt, tritt neben der Geschwindigkeitsscherung meistens auch
Richtungsscherung auf. Diese beeinflusst maßgeblich die Orientierung
der Vorticity (streamwise vs. crosswise) in der Umgebungsluft.
Das hat direkte Auswirkungen auf die Entwicklungschancen der
entstehenden Zellen. Dreht der Wind mit zunehmender Höhe
beispielsweise von Süd auf West, entsteht eine rechtsdrehende
(zyklonale) Richtungsänderung. In diesem Fall trifft die
rechtsläufige Zelle auf eine stärkere Komponente an streamwise
Vorticity, also förderlicher Rotation, die sich effizient in
vertikale Rotation und damit in eine stabile Mesozyklone umwandeln
lässt. Die linksläufige Zelle hingegen hat meist nur Zugang zu mehr
crosswise Vorticity, die für die Entstehung einer starken,
rotierenden Superzelle weniger günstig ist. Daher bleibt sie oft
schwächer oder löst sich schnell wieder auf.
Solche rechtsdrehenden Windscherungsprofile treten insbesondere auf
der Nordhalbkugel häufig auf - weshalb RM-Superzellen dort
typischerweise dominieren. Auf der Südhalbkugel ist das Muster
wiederum umgekehrt. In besonders extremen Fällen, bei denen eine sehr
ausgeprägte Richtungsänderung mit der Höhe vorliegt, kann der Aufwind
auf einer Seite sogar so stark unterdrückt werden, dass sich die
Teilung des Gewitters gar nicht sichtbar vollzieht. Stattdessen
entsteht direkt eine einzelne, dominante Superzelle.
Vor diesem Hintergrund ist es wenig überraschend, dass in den beiden
Storm-Splits aus Abbildung?1 die linke Superzelle etwas schwächer
ausgeprägt ist - obwohl der zugehörige Hodograph (siehe Abbildung?3)
überwiegend auf Geschwindigkeitsscherung hinweist. Denn selbst
leichte Richtungsänderungen mit der Höhe können ausreichen, um eine
der beiden Zellen zu begünstigen. In diesem Fall die rechtsdrehende
Superzelle.
An dieser Stelle noch ein paar erklärende Worte zum Begriff
Hodograph: Ein Hodograph ist eine grafische Darstellung der
Windvektoren in Abhängigkeit von der Höhe. Dabei werden sowohl
Windrichtung als auch -geschwindigkeit für verschiedene Höhenniveaus
als Punkte in ein Koordinatensystem eingetragen und miteinander
verbunden. Verläuft die Verbindungslinie gerade, bedeutet das: Die
Windgeschwindigkeit nimmt mit der Höhe zu, die Windrichtung bleibt
jedoch konstant. Es liegt also reine Geschwindigkeitsscherung vor.
Eine gekrümmte Linie hingegen zeigt, dass sich auch die Windrichtung
mit der Höhe ändert, was ein Hinweis auf Richtungsscherung ist. Diese
Krümmung ist entscheidend für die Entstehung von streamwise Vorticity
und beeinflusst damit maßgeblich Art und Stärke der Rotation in einer
Gewitterzelle. Im oben gezeigten Beispiel (Abbildung 1) erkennt man
im zugehörigen Hodographen eine leichte Winddrehung in den unteren
drei Kilometern von Süd auf Südwest, was durch die gekrümmte Linie in
diesem Höhenbereich deutlich wird. Darüber hinaus verlaufen die
Windvektoren relativ einheitlich in nordöstliche Richtung. Das deutet
auf eine dominante Windrichtung aus Südwesten und damit überwiegend
Geschwindigkeitsscherung hin.
Um abschließend nochmal zur Einleitung zurückzukommen: Laut
ESWD-Datenbank waren in diesem Fall beide Superzellen nach der
Trennung eher launisch unterwegs. Die linke der beiden Zellen konnte
neben den typischen Gewitterbegleiterscheinungen vor allem mit
Hagelgrößen bis 3 cm auf sich aufmerksam machen, die rechte
Superzelle schmiss dagegen mit bis zu 4 cm großen Eisklumpen um sich.
Hochschulpraktikant B. Sc. Aaron Gentner in Zusammenarbeit mit
Dipl.-Met. Tobias Reinartz
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 23.06.2025
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