Thema des Tages

28-06-2019 10:50

Wieso regnet es in Gebirgsregionen mehr und auch häufiger?


Dazu gibt es einige Ansätze: Ist es eher eine zusätzliche Komponente
der Bodenreibung, die Turbulenz auslöst und damit Hebung forciert
oder ist es einfach der statische Widerstand, den ein Gebirge auf den
Luftstrom ausübt und damit die Luft zur Hebung zwingt? Oder
vielleicht beides?

Zu Beginn gehen wir zunächst von der bekannten Tatsache aus, dass die
Luft mit all ihrer Feuchtigkeit und damit auch die Wolken, die sich
einem Gebirge nähern, irgendwann so etwas wie einen Rückstaueffekt zu
spüren bekommen und da sie nirgend woanders hinkönnen, ziehen sie am
Berghang hoch und falls sie das noch nicht getan haben, entleeren sie
sich auch. Apropos hinziehen, etwas anders sieht es aus, wenn das
Hindernis in der horizontalen Längsrichtung nicht so gut ausgebildet
ist. Dann nämlich kann der Berg auch zumindest teilweise umströmt
werden. Das ist ein guter Aufhänger zum nächsten Faktor: dem
Anströmwinkel. Das ist der Winkel, mit dem die Strömung relativ zum
Berg verläuft. Wenn dieser Winkel genau 90 Grad beträgt, also die
Wolken rechtwinklig auf unseren Berg zurasen, dann gibt es
erwartungsgemäß auch die stärkste Hebung und die stärksten
Niederschläge, weil sich die gehobene Luft abkühlt und irgendwann
kondensiert. Und Hebung deshalb, weil dann die
Vertikalgeschwindigkeit (oder Auftrieb) ein Maximum besitzt (siehe
beigefügte Grafik zum Relief eines orografischen Übergangsbereichs
mit entsprechender Darstellung der Vertikalgeschwindigkeit als
Funktion der Entfernung vom Hindernis x/L sowie dem Anströmwinkel
Phi. Auf der rechten Grafik ist dabei die Nulllinie als Gratlinie zu
verstehen, positive Werte der Vertikalgeschwindigkeit sind auf der
Luvseite des Berges oben zu sehen, wohingegen negative Werte auf der
Leeseite, also unten dargestellt sind. Die linke Grafik zeigt
dagegen eine idealisierte Darstellung eines Gebirges mit der
Entfernung zum Gebirge hin und vom Gebirge weg (x/L) sowie die
Bewegung entlang des Gebirges (y/L).

Soweit so gut. Aber was passiert, wenn der Anströmwinkel 0 Grad
beträgt, der Berg also komplett horizontal umströmt wird? Wie man auf
der Grafik sieht, verschwindet dann die Vertikalgeschwindigkeit nicht
komplett, d.h. es findet weiterhin Hebung statt. Man kann sich das so
vorstellen, dass die Strömung, also der Wind trotzdem den Widerstand
des Gebirges spürt und so aus dem ursprünglich glatten Horizontalwind
auch vertikale Windkomponenten erzeugt werden. Die Hebung
verschwindet gemäß Grafik allerdings bei einem Korrekturwinkel - Phi,
der auch Verschiebungswinkel genannt wird und diesem Umstand Rechnung
trägt.

Nachdem wir das geklärt haben, jetzt noch zu einem weiteren Effekt,
den man der Grafik entnehmen kann. Ja, auch die Entfernung vom
Hindernis (x/L) spielt eine Rolle und so ist es nicht verwunderlich,
warum es auch im Gebirgsvorland stärker regnet oder schneit als im
angrenzenden Flachland. Dabei komme ich auf den anfänglich
angesprochenen Rückstaueffekt zurück, durch den die anströmende
Luftmasse ähnlich wie eine Welle zusammengestaucht wird. Auf der
rechten Grafik oben ist gut zu sehen, wie die Vertikalgeschwindigkeit
mit zunehmendem Abstand vom Gebirgskamm zwar deutlich abnimmt, aber
nicht gänzlich verschwindet.

Übrigens kann man auch mal den Blick hinter das Gebirge wagen: Auf
der rechten Grafik sieht man dort auf der unteren Seite, wie die
Vertikalgeschwindigkeit im Lee des Gebirges recht symmetrisch negativ
ist, also dort Absinken vorherrscht, was zu Wolkenauflösung führt.

Aber ganz ehrlich: so idealisiert wie auf der Grafik sieht kein
Gebirge der Welt aus. In der Realität ist ein Gebirge in sich selbst
noch viel komplexer, wie z.B. durch nicht konstante Hangneigung,
Ausrichtung, Form, Breite, Übergangsformen, Hochtäler etc.etc.

Nun, was hat das alles mit der oben angesprochenen Bodenreibung zu
tun?

Jede Rauigkeit erzeugt Turbulenz, die so genannte turbulente Reibung.
Das kann man sich so vorstellen, dass sich durch die chaotische
Luftbewegung (in verschiedene Richtungen) die Luftteilchen aneinander
reiben und sich so in andere Richtungen ablenken. Das kann je nach
Art und Beschaffenheit der Rauigkeit zu Luftverwirbelung führen. Die
so entstandenen kleinen Wirbel können gerade mit Unterstützung von
atmosphärischen Fronten oder auch orografischen Hindernissen durch
ihre Sogwirkung (Druckfall am Boden) die Vertikalgeschwindigkeit
zusätzlich forcieren.

Ja gut, aber nicht jeder kleine Hügel oder jede schwach ausgeprägte
Front bringt diese zusätzlichen Effekte.

Zusammenfassend lässt sich festhalten: ja, beide Effekte ergänzen
sich, d.h. die Bodenreibung oder auch Rauigkeit erzeugt indirekt
zusätzlichen Auftrieb und der mechanische Widerstand des Gebirges
bewirkt einen Staueffekt, der ebenso Hebung erzwingt.

Eine derartige mathematische Beschreibung für die
Vertikalgeschwindigkeit z.B. für orografisch strukturierte Gebiete
oder auch für dicht und hoch bebaute Ballungsgebiete könnte generell
(und im Spezialfall) die Modellgenauigkeit weiter verbessern.
Zumal gerade die Auflösung des Niederschlags und der Orografie bzw.
der Rauigkeit immer noch so etwas wie eine kleine Baustelle selbst
bei den hochauflösenden Modellen darstellt.


Dr. rer. nat. Jens Bonewitz
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 28.06.2019

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