DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

23-01-2024 09:31
SXEU31 DWAV 230800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Dienstag, den 23.01.2024 um 08 UTC


GWL und markante Wettererscheinungen:
GWL: Wz mit leichtem Nordwesteinschlag (West zyklonal)

Heute Zwischenhoch, morgen veritabler Sturm, Donnerstag wieder Zwischenhoch.
Langeweile geht anders.

Synoptische Entwicklung bis Donnerstag 24 UTC
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Dienstag... Aktuell befinden wir uns inmitten einer dynamischen und sehr
abwechslungsreichen zyklonalen West-Nordwestlage. Die Atmosphäre strotzt nur so
vor potenzieller und kinetischer Energie, was sie uns auch spüren lässt. Auf der
einen Seite wunderbar ausgereizte Sturmtiefs, die vom Atlantik nach Skandinavien
ziehen. Auf der anderen Seite ein bemerkenswert kräftiges Subtropenhoch über
Südwesteuropa (zeitweise knapp über 1040 hPa im Zentrum) sorgen für einen
überaus veritablen Druckgradienten, der wiederum in weiten Teilen Europas
Starkwind und Sturm generiert. Auch Deutschland trifft es, allerdings könnte es
noch schlimmer kommen, wenn die Tiefs ein bisschen weiter südlich ziehen würden.
Aber gut, es ist wie es ist, und da lässt sich konstatieren, dass der heutige
Dienstag vergleichsweise als "Ruhetag" durchgeht, auch wenn das Wetter nicht
völlig zur Ruhe kommt. Das erste Sturmtief IRIS (int. Isha) ist über die Berge
(heute früh Lappland mit Kurs Barentssee), das nächste JITKA (int. Jocelyn)
braucht noch ein bisschen, um sich für uns in die richtige Stellung zu bringen.
Es liegt heute Morgen mit einem Kerndruck von etwas unter 970 hPa noch gut 1000
km nordwestlich der Grünen Insel, wobei der Entwicklungsprozess noch nicht
abgeschlossen ist. So befindet sich das Tief derzeit noch dicht am gut
gekrümmten linken Ausgang eines fetten Jetstreak, der mit rund 190 Kt auf 300
hPa in der Spitze aufwartet. Kein Wunder, dass dort ordentlich Höhendivergenz
produziert wird, die dem Bodentief zu weiterem Druckfall verhilft. Wenn das
Sturm- bzw. Orkantief heute Abend relativ dicht südlich an Island vorbeizieht,
könnte der Kerndruck auf knapp unter 960 hPa gefallen sein, was ´ne ordentliche
Hausnummer ist, allerdings nicht von allen Modellen angeboten wird. Aber ob 958
oder 963 hPa, spielt für den Vorhersageraum zumindest vorerst keine Rolle.

Bei uns steigen Luftdruck und Potenzial jetzt erst mal an, was zwischen zwei
solchen "Powerfrauen" vollkommen normal ist. Zwischenhoch nennt man das in der
Fachterminologie. Der mit dem ersten Tief korrespondierende Höhentrog, übrigens
ein sehr nachtaktiver Geselle (zahlreiche Schauer und Gewitter), verabschiedet
sich im Laufe des Vormittags nach Osten und wird - vorübergehend - ersetzt von
einem Rücken, der aktuell noch von der Iberischen Halbinsel bis zum nahen
Atlantik reicht, bis heute Abend aber weite Teile unseres Landes überdeckt.
Leichtes Absinken sowie kräftige WLA sorgen nicht nur für eine spürbare
Stabilisierung der subpolaren Meeresluft (mPs; rascher Anstieg T500 von anfangs
zumindest teilweise unter -30°C auf über -20°C; Anstieg T850 verzögert), die
Luftmasse trocknet zudem ab (PPW teils unter 10 mm). Nur logisch also, dass sich
anfänglich noch auftretende, teils gewittrige Regen- oder im Bergland auch
Schneeschauer in bis Mittag immer rarer machen bzw. sich nach Polen, Tschechien
und Österreich zurückziehen. Dann bleibt es bei wechselnder Bewölkung mit
unterschiedlich großen Sonnenfenstern für einige Stunden trocken, bevor - das
Stichwort WLA ist ja schon gefallen - von Westen schon wieder mehrschichtige
Bewölkung aufzieht, aus der es am Abend zwischen Deutscher Bucht und Südpfalz
sowie am Oberrhein anfängt zu regnen.

Gleichzeitig frischt der auf Süd rückdrehende Wind auf und an der Nordsee, im
äußersten Westen sowie in einigen Hochlagen wieder auf (Böen 7-8 Bft, exponierte
Hochlagen 9 Bft), nachdem der zunächst noch leidlich aktive Südwestwind ab
Mittag in eine kleine depressive Phase tritt und sich von West nach Ost
vorübergehend abschwächt.

Kurz noch ein Sätzchen zur Temperatur, die mit Höchstwerten zwischen 4 und 10°C
(höheres Bergland darunter, was bei Durchmischung und "normaler" Schichtung aber
eine Binsenweisheit ist) wieder typisch atlantisch daherkommt.

Die Nacht zum Mittwoch wird zumindest in Teilen des Landes unruhig, ja z.T.
regelrecht ruppig, was - der aufmerksame Leser weiß, was kommt - dem o.e.
Sturm-/Orkantief JITKA geschuldet ist. Das zieht genau zwischen Island und
Schottland hindurch gen Norwegen, wo es die südliche Haltenbank knapp nördlich
von Svinöy ansteuert. Inzwischen hat sich das Tief vom Jetstreak abgekoppelt und
somit die fruchtbare Zusammenarbeit eingestellt, was gleich ein wenig Hüftspeck
zur Folge hat. Um 06 UTC wird der Kerndruck auf rund 970 hPa angestiegen sein,
was aber immer noch mehr als stattlich ist. Rund 80 hPa Unterschied sind es zum
potenten Subtropenhoch über Spanien, da können die Luftpartikel reichlich und
sehr schnell durchgeschleust werden.

Während das Tief doch relativ weit entfernt ist, trifft das auf das zugehörige
Frontensystem nicht zu. Geradezu klassisch erfasst zieht zunächst die Warmfront
(WF) zügig von West nach Ost, bevor bereits gegen Mitternacht die nachfolgende
Kaltfront (KF) auf den Nordwesten übergreift und diesen bis zum Morgen
überquert. Beide Fronten bringen Regen mit, der im Falle der WF fast
ausschließlich WLA-getriggert ist, während die KF Unterstützung durch PVA-Maxima
bekommt (Annäherung eines in die Frontalzone eingebetteten flachen Randtrogs).
Akkumuliert über 12 Stunden können im Norden und Westen durchaus 5 bis 10, mit
Hilfe konvektiver Verstärkungen stellenweise rund 15 l/m² Regen zusammenkommen.
Nach Süden hin fällt die Ausbeute geringer aus. Dafür ist in einigen geschützten
Tälern des Erzgebirges, der ostbayerischen Mittelgebirge sowie der Alpen
kurzzeitig und lokal gefrierender Regen nicht ganz ausgeschlossen. Zumindest
geht die Temperatur dort in der kurzen präfrontalen Ruhephase auf 0°C oder etwas
darunter zurück, während sich darüber schon die Warmluft schiebt. Diese lässt
auch die Schneefallgrenze deutlich und rasch ansteigen über die Kammlagen der
Mittelgebirge hinaus. Einzig im Bayerischen Wald könnte es anfangs für ein paar
Flocken reichen.

Der Fokus der nächtlichen Entwicklung liegt aber eindeutig auf dem Wind, der
zunächst im Warmsektor (T850 hier übrigens bis zu 7°C) merklich zunimmt. Die
Oberwinde erreichen im Warmsektor auf 850 hPa bis zu 65 Kt und auf 925 hPa bis
zu 55 Kt (jeweils Norden), was zunächst vor allem dem höheren Bergland
"zugutekommt". Dort werden je nach Höhenlage und Exposition Sturmböen 9 Bft
sowieso, vielfach aber auch schwere Sturmböen oder Orkanböen 10 bis 12 Bft
erreicht. Der Brocken dürfte es in den extremen Orkanbereich über 140 Kt
schaffen. Mit Annäherung der KF schlagen die Oberwinde noch eins drauf, vor
allem auf 850 hPa lassen sich in der Nordhälfte vielfach 65 bis 75, vereinzelt
sogar 80 Kt detektieren. Das sowie der Mordsgradient bleiben natürlich nicht
ohne Wirkung auf den Wind, der mit Passage der WF auf Südwest, mit Passage der
KF weiter auf Südwest bis West dreht. Am meisten legt der Wind im Norden und
Nordwesten auf, wo im Binnenland Böen 8/9 Bft auf der Karte stehen. Wenn´s blöd
läuft, ist mit konvektiver oder orografischer Unterstützung auch mal eine Bft 10
am Start, auch wenn die Labilität nicht überbordend ausgeprägt ist.
Wahrscheinlicher sind schwere Sturmböen 10 Bft an der Nordsee, während die
Ostsee zunächst mit 8/9 Bft auskommt. Im großen Rest des Landes wird im Laufe
der Nacht eine Windzunahme mit Böen 7-8 Bft erwartet (höheres Bergland wie schon
erwähnt darüber), am längsten hält sich der Wind Richtung Oder sowie in
Südostbayern zurück.

Entgegen üblicher Gepflogenheiten wird es in der Nacht in weiten Landesteilen
wärmer als kälter. So hat die WF ihren Namen mehr als verdient, gerade im Norden
und Westen steigt die Temperatur vielerorts in den unteren zweistelligen
Bereich.

Mittwoch... verlagert sich das Starkwind- bzw. Sturmfeld von West nach Ost,
wobei die Nordhälfte insgesamt stärker betroffen ist als die Südhälfte. Zunächst
mal die Synoptik, wo das Sturmtief von den westnorwegischen Bergen geblockt wird
und sich dabei weiter auffüllt. Allerdings ist die gute JITKA eine ganz Schlaue,
die im Lee der Gebirge einfach mal einen zweiten Kern generiert, der ihr das
Überleben sichert. Um 12 UTC haben wird ein Doppeltief auf der Wetterkarte,
deren beiden Druckminima mit etwas unter 985 hPa am Südrand der Haltenbank (der
alte Kern) sowie im Osten Südschwedens liegen (der neue Kern). Auf der
Süd-Südwestflanke bleibt der kräftige Gradient zunächst erhalten, bevor er am
Nachmittag mit Druckanstieg von Südwesten her merklich aufweicht. Bis das
passiert, wird der auf westliche Richtungen drehende Wind landesweit einen
substanziellen Sturm entfachen, der teilweise aber nur wenige Stunden andauert.
Böen 8/9 Bft sind in tiefen Lagen Default, wobei die Wahrscheinlichkeit für
9er-Böen in der Nordhälfte größer ist als weiter südlich. Mit KF-Durchgang sowie
orografischer Kniffe (Lee, Leitplanke) kann auch die eine oder andere schwere
Sturmböe 10 Bft auftreten, insbesondere zwischen Rothaargebirge und Harz sowie
am Rande der zentralen und östlichen Mittelgebirge. Im höheren Bergland wird
weiterhin die ganze Palette von 9 bis 12 Bft abgedeckt, je nach Höhe und
Ausrichtung. Für einige exponierte Hochlagen bietet sich eine Unwetterwarnung
an, für den Brocken wird wohl eine extreme Unwetterwarnung nötig (> 140 km/h).
Böen bis 10 Bft stehen auch an den Küsten sowie im küstennahen Binnenland auf
der Karte, wobei das Sturmmaximum an der Nordsee am Vor- und an der Ostsee am
Nachmittag bzw. Abend zu erwarten ist. Ob sogar eine Unwetterwarnung vor
orkanartigen Böen 11 Bft gezogen werden muss, ist noch nicht ganz sicher.
Derzeit laufen die Prognosen eher daraufhin hinaus, dass Böen 11 Bft an der
Küste nicht verbreitet, sondern "nur" exponiert auftreten, was eine ausgereizte
schwere Sturmwarnung ("Häkchen 11") rechtfertigen würde.

Ansonsten gilt es zu konstatieren, dass die KF recht flott nach Süddeutschland
vorankommt, wo sie dann aber ausgebremst wird und ins Schleifen gerät. Nach
Westen hin geht sie sogar in die WF einer flachen, noch weit draußen auf dem
Atlantik residierenden Welle über. Der frontale Regen verlagert sich
entsprechend in den Süden, wo er in der Nacht zum Donnerstag durch besagte WF
neu angefacht wird. Meist liegen die 24-stündigen Regenmengen um oder sogar
unter 5 l/m². Einzig in einigen Staulagen insbesondere im Allgäu, mit Abstrichen
auch im Südschwarzwald sind größere Mengen wahrscheinlich, die aus jetziger
Sicht eine RR-Warnung aber nicht zwingend erforderlich macht. Evtl. kommt im
Allgäu eine Tauwetterwarnung in Frage, weil dort noch einiges an Schnee liegt
(aktuell schneit es ja auch gerade), so dass das Niederschlagsdargebot
ausreichen könnte, warntechnisch tätig zu werden. Darüber hinaus fallen in der
postfrontal einfließenden subpolaren Meeresluft (erneut mPs; T850 0 bis -3°C)
nur vereinzelte Schauer (Inversion bei 800 bis 750 hPa => zu geringe vertikale
Mächtigkeit der labilen Grundschicht). Lediglich nach Nordosten hin, wo der o.e.
flache Randtrog durchschwenkt, sind mehr Schauer bzw. schauerartiger Regen
unterwegs.

Die Temperaturen bewegen sich weiter auf Vorfrühlingskurs mit Höchstwerten
zwischen 8 und 15°C.

In der Nacht zum Donnerstag beruhigt sich das Wetter weiter. Während JITKA I vor
der norwegischen Küste von einem Hochkeil geschluckt wird, zieht sich JITKA II
Richtung Baltikum zurück. Damit fächert der Gradient bei uns immer mehr auf und
der Wind lässt weiter nach. Am längsten dauert das im Osten und Nordosten, wo
noch bis in die 2. Nachthälfte Böen 7/8 Bft, an der Ostsee 9/10 Bft aus West bis
Nordwest auftreten. An der Nordsee erfolgt das Downgrade bis 7 Bft, auf den
Bergen bleibt es zwar noch stürmisch, aber weniger heftig als tagsüber (deutlich
nachlassende Oberwinde).

Mit Annäherung der o.e. WF kommt es im Süden zu neuen, sich leicht nordwärts
ausbreitenden Regenfällen, die von IFS und ICON mit Ausnahme des Allgäus recht
defensiv simuliert werden. UK und GFS hingegen sehen am Alpenrand teils über 30,
lokal sogar über 40 l/m², wobei nicht ganz offensichtlich ist, woher die hohen
Mengen kommen. Mal abwarten, was die nächsten Läufe so anbieten. Schnee fällt
zunächst wohl nur in den höheren Lagen der Alpen.

Tiefsttemperatur 8 bis 1°C, nur im höheren Bergland um 0°C.

Donnerstag... schiebt sich das nächste Zwischenhoch zu uns rein. Es handelt sich
um einen Keil des südwesteuropäischen Hochs, der - gestützt durch einen
Höhenrücken - auf Deutschland übergreift. So ganz astrein ist die Sache aber
nicht, weil die WF der Richtung Schottland ziehenden Welle dagegen- und dem
steigenden Luftdruck standhält. Sie attackiert den Süden und Westen des Landes
mit dichten Wolken und leichten Niederschlägen. In den Alpen sinkt die
Schneefallgrenze vor allem nach Osten hin zumindest mal auf 1000 m, vielleicht
auch etwas darunter (T850 -2/-1°C). Zwischen dem Hochkeil und dem vom Baltikum
nur langsam ostwärts abziehenden Tief bleibt im Osten und Nordosten ein
leidlicher West-Nordwestwind mit Böen 7-8 Bft, höheres Bergland darüber. Am
Nachmittag und Abend lässt der Wind dann mehr und mehr nach.

Höchsttemperatur 6 bis 13°C mit den höchsten Werten im südlichen
Oberrheingraben.

Modellvergleich und -einschätzung
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Im Großen und Ganzen simulieren die Modelle sehr ähnlich. Unschärfen beim
Wind/Sturm liegen im üblichen Toleranzbereich. Die Unterschiede beim
Niederschlag wurden im Text angesprochen.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann